Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Guatemala: Kinderarbeit im Steinbruch – Dreharbeiten von “Ein Herz für Kinder“ 

Text und Fotos: Martin Bondzio

Um auf die Situation der arbeitenden Kinder in Guatemala aufmerksam zu machen, besuchte Johannes B. Kerner die Kinder, die in den Steinbrüchen rund um Quetzaltenango schuften müssen. Über seine Erfahrungen im Projekt des Kindernothilfepartners CEIPA (Centro Ecuménico de Integración Pastoral) berichtete er in der ZDF-Weihnachtsgala-Gala 2023 von „Ein Herz für Kinder. 

Es ist sechs Uhr am Morgen. Die Sonne ist noch nicht hinter den naheliegenden Vulkanen aufgegangen. Die Luft ist nass und überraschend kalt. Die Regenzeit ist da und hat einige Straßen und Wege in Seen verwandelt. Dabei kann von Straßen eigentlich keine Rede sein. Wir werden in unserem Kleinbus von den vielen Schlaglöchern und unbefestigten Wegen ordentlich durchgeschüttelt. Mehr als einmal werden wir uns auf dieser Reise mit unserem Gefährt festfahren. Aber wir sind privilegiert, wir können mit einem Auto durch Quetzaltenango fahren. Hier im Süden von Guatemala können das viele Familien nicht, sie können sich nicht einmal die Fahrt mit einem der vielen in den USA ausgemusterten gelben Schulbusen leisten, die hier überall herumfahren.

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Eine ungeteerte Straße, rechts steht ein Junge vor einer Wellblechhütte (Quelle: Martin Bondzio)
Juans Familie lebt in einer Wellblechhütte (Quelle: Martin Bondzio)
Eine ungeteerte Straße, rechts steht ein Junge vor einer Wellblechhütte (Quelle: Martin Bondzio)
Juans Familie lebt in einer Wellblechhütte (Quelle: Martin Bondzio)

Hütten aus Holz, Lehm und Wellblech

Es ist kurz nach sieben, als wir in der Nähe der Hütte von Juan und seiner Familie ankommen. Die ganze Familie sei schon wach , sagt der Vater, der uns mit einer Schubkarre mit Vorschlaghammer, Hacke und anderem Werkzeug entgegenkommt. Er muss los, zum Steinbruch. Zu Fuß braucht er etwas mehr als eine Stunde zu seinem Arbeitsplatz. Er erklärt uns noch schnell, dass die Kinder immer etwas später anfangen, meist so gegen halb acht brechen sie auf, und dann ist er auch schon in der Dämmerung verschwunden.

Wir folgen einem kleinen Weg zwischen Hütten, die aus Holz, Lehm und Wellblech zusammengezimmert sind. „Passt auf, wo ihr hintretet!“, warnt uns Sucely Chiguil de Léon vom Kindernothilfepartner CEIPA, der sich hier in Quetzaltenago seit vielen Jahren für die Rechte von arbeitenden Kindern einsetzt. Auf dem Boden schlängelt sich ein kleines Rinnsal an uns vorbei. In diesem Teil der Stadt sind nur wenige Häuser an die Kanalisation angeschlossen. Aus den Ritzen der Hütten dringt schummriges Licht, zumindest Strom gibt es für die meiste Zeit.

Die letzte Tür in der Reihe ist die Tür von Juans Familie. Als diese aufgeht, stehen wir sofort in der Küche. Ein kleiner, fast quadratischer Raum von nicht einmal zehn Quadratmetern und an den meisten Stellen zu niedrig für meine 1,85 Meter Körpergröße. Wir werden herzlich von Maria, Juans Mutter, empfangen. Die beiden Kinder, Juan und seine ältere Schwester Blanca, sind noch im hinteren Zimmer. Die Hütte zieht sich schlauchförmig hinter der Küche weiter. Sehr beengt stehen hier die Betten und ein Schrank der Familie.


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Ein ärmlicher Raum, ein Mädchen steht an der Wand, ein Junge sitzt auf dem Bett und zieht sich einen Schuh an (Quelle: Martin Bondzio)
Das Schlafzimmer von Juans Familie (Quelle: Martin Bondzio)
Ein ärmlicher Raum, ein Mädchen steht an der Wand, ein Junge sitzt auf dem Bett und zieht sich einen Schuh an (Quelle: Martin Bondzio)
Das Schlafzimmer von Juans Familie (Quelle: Martin Bondzio)

Ein Frühstück vor der harten Arbeit ist die Ausnahme

Juan sitzt auf dem Bett, er wischt sich den Schlaf aus den Augen, bevor er sich seine zweite Socke anzieht. Juan ist ein aufgeweckter und positiver Junge. Er freut sich sehr über den Besuch aus Deutschland und will uns sofort alles zeigen. Aber es nicht viel Zeit, er soll sich fertig anziehen und dann zum Frühstück kommen. Es gibt heute Morgen Rührei und etwas Maisgries. Später wird uns Sucely erzählen, dass so ein Frühstück die Ausnahme ist, viele Kinder gehen gänzlich ohne Frühstück aus dem Haus.

Auch Juan und seine Schwester müssen den Weg zum Steinbruch zu Fuß bewältigen. Eine Busfahrt würde fünf Quetzales pro Person kosten, das sind umgerechnet 60 Cent, viel zu viel für die Familie. Die Kinder verdienen nur je 3 Euro am Tag, Geld, das die Familie dringend braucht. Heute aber haben die beiden Glück, wir nehmen sie natürlich in unserem Fahrzeug mit.

Auf der Fahrt sehen wir einige Steinbrüche, die wie braune Narben aus den sonst grün behangenen Bergen herausstechen. Die großen Steinbrüche werden von großen Unternehmen betrieben, Kinderarbeit wird man dort nicht finden, denn sie werden mittlerweile streng kontrolliert. Aber es gibt unzählige inoffizielle Steinbrüche. Diese sieht man gefühlt hinter jeder Ecke. Betrieben werden sie von privaten Familien, die das Geld für die Pacht des Grundstücks zusammenlegen und auf eigenes Risiko den Steinbruch ausbeuten. Um genügend Geld für die Pacht und den Lebensunterhalt zusammenzubekommen, muss jedes Familienmitglied mit im Steinbruch ackern.
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Drei Jungen bearbeiten Steine in einem Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Kein Kind sollte in einem Steinbruch arbeiten müssen (Quelle: Martin Bondzio)
Drei Jungen bearbeiten Steine in einem Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Kein Kind sollte in einem Steinbruch arbeiten müssen (Quelle: Martin Bondzio)

„Kein Kind sollte diese Arbeit machen müssen“

Wir fahren von der Hauptstraße ab und biegen auf einen Trampelpfad ein. Nach ein paar Minuten sehen wir den Steinbruch, eingerahmt von Maisfeldern. Eine Kuh ist auf einer kleinen Grünfläche angebunden und im Hintergrund thront majestätisch der Vulkan Santa Maria. Genießen können wir die Aussicht aber nicht, ziemlich schnell holt uns der harte Arbeitsalltag der Kinder wieder ein. Juan schnappt sich einen Vorschlaghammer. Mehr als zehn Kilo wiegt das Teil. Er stemmt ihn mit großer Anstrengung in die Luft und lässt ihn auf einen riesigen Stein niederknallen. Der Stein ist riesig, und der Vorschlaghammer scheint chancenlos an dem Koloss abzuprallen. Schon nach kurzer Zeit sieht man Juan die Strapazen an, aber er will sich nichts anmerken lassen. Er holt sich lieber einen kleinen Hammer und Spaltmeißel. Immer wieder trifft der Hammer auf den Meißel, der geduldig Millimeter für Millimeter die oberste Schicht des Steins annagt. Es wird mehrere Stunden dauern, bis der Stein gespalten ist.
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Ein Junge schwingt einen Vorschlaghammer in einem Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Juan ist erst zehn Jahre alt und muss einen zehn Kilo schweren Vorschlaghammer stemmen (Quelle: Martin Bondzio)
Ein Junge schwingt einen Vorschlaghammer in einem Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Juan ist erst zehn Jahre alt und muss einen zehn Kilo schweren Vorschlaghammer stemmen (Quelle: Martin Bondzio)
Die Steine aus diesem Steinbruch werden als Fundament für Häuser und Straßen verwendet. Dafür müssen sie so klein wie möglich gehauen werden. Die Kinder machen das mit dem Vorschlaghammer oder mit einem kleinen Hammer und Meißel. Schutzausrüstung sucht man hier vergebens. Es gibt keine Helme, keine Schutzbrillen, keine Sicherheitsschuhe. Es gibt ein paar Handschuhe, aber diese tragen die Kinder nicht, da sie ihnen viel zu groß sind. Verletzungen gehören zum Alltag der Kinder.

Moderator der "Ein Herz für Kinder"-Sendung Johannes B. Kerner ist schockiert darüber, was diese jungen Menschen leisten müssen. „Kein Kind auf der Welt sollte diese Arbeit machen müssen“, sagt er. „Kinder sind Kinder, haben ein Recht auf Kindheit – zu spielen, unbeschwert zu sein und zu lernen.“
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Johannes B. Kerner spricht mit einem kleinen Jungen im Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner war schockiert, dass Kinder so eine schwere Arbeit machen mussen (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner spricht mit einem kleinen Jungen im Steinbruch (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner war schockiert, dass Kinder so eine schwere Arbeit machen mussen (Quelle: Martin Bondzio)

Nach sechs Stunden Schuften noch zum Nachmittagsunterricht

Die Kinder sind jeden Vormittag im Steinbruch und arbeiten von sieben Uhr morgens bis mittags um eins. Dann gehen sie nach Hause, vielleicht gibt es etwas zu essen, schnappen sich ihre Schulsachen und kommen zum Unterricht, erklärt mir Sucely den Tagesablauf der Mädchen und Jungen. Ohne die Arbeit unserer Partnerorganisation CEIPA hätten diese Kinder keine Chance auf eine Schulbildung, geschweige denn auf einen Schulabschluss. Viele Töchter und Söhne begleiten ihre Eltern seit frühester Kindheit in den Steinbruch. Die Erwachsenen müssen den Lebensunterhalt erarbeiten, und wenn die Schule zu weit entfernt ist, ist es nicht möglich, die Kinder dort hinzubringen. Der Bus ist zu teuer und der Fußweg zu gefährlich. Also fangen die Kinder irgendwann an, ihren Eltern zu helfen. Und selbst wenn sie in die Schule gehen, dann meistens unregelmäßig. Sie werden schnell abgehängt, und zu Hause kann sie niemand beim Lernen unterstützen.

Der Kindernothilfepartner möchte diesen Kindern aber eine Chance auf eine Schulbildung und vor allem auf einen Abschluss geben. Die Mädchen und Jungen können bei CEIPA ihren Grundschulabschluss nachholen. Das sei eigentlich im guatemaltekischen Schulsystem nicht vorgesehen, erklärt mir Sucely. Wenn die Kinder einmal aus der Schule raus sind, dann haben sie keine Chance mehr auf einen Abschluss. CEIPA hat lange und hart dafür gearbeitet, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrem Projekt einen staatlich anerkannten Abschluss erhalten können.


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Johannes B. Kerner sitzt mit Kindern in einem Klassenzimmer (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner macht es sichtlich Spaß, am Unterricht von CEIPA teilzunehmen (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner sitzt mit Kindern in einem Klassenzimmer (Quelle: Martin Bondzio)
Johannes B. Kerner macht es sichtlich Spaß, am Unterricht von CEIPA teilzunehmen (Quelle: Martin Bondzio)

Ein Schulzentrum für noch mehr Kinder

Die Kinder kommen nachmittags in den Unterricht, der an vielen verschiedenen Schulen in der Stadt angeboten wird. Der Nachmittagsunterricht hat mehrere Gründe: Zum einen müssen immer noch viele junge Leute arbeiten, damit die Familien überhaupt über die Runden kommen. Und das nicht nur im Steinbruch. Die Kinder arbeiten hier auch auf den Feldern, auf dem Markt oder nähen Schuhe. Viele Arbeiten finden also am Vormittag statt. Zum anderen nutzt CEIPA vor allem die staatlichen Schulen als Bildungsstätten, aber hier dürfen sie erst rein, wenn der offizielle Unterricht zu Ende ist.

Deswegen plant der Kindernothilfepartner den Bau eines eigenen Schulzentrums, um noch mehr Mädchen und Jungen einen Schulabschluss zu ermöglichen. Das ist auch in Guatemala eine gewaltige Investition, und deshalb haben sich in diesem Jahr die Kindernothilfe und „Ein Herz für Kinder“ zusammengetan, um CEIPA bei diesem Projekt zu unterstützen.
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Fußgänger, darunter Schulkinder, gehen eine nasse Straße entlang (Quelle: Martin Bondzio)
Viele Familien haben kein Geld für den Bus, also müssen die Kinder zu Fuß lange Wege zur Schule zurücklegen (Quelle: Martin Bondzio)
Fußgänger, darunter Schulkinder, gehen eine nasse Straße entlang (Quelle: Martin Bondzio)
Viele Familien haben kein Geld für den Bus, also müssen die Kinder zu Fuß lange Wege zur Schule zurücklegen (Quelle: Martin Bondzio)
Juan hat mittlerweile seine Sachen zusammengepackt. Es liegt wieder ein Fußmarsch von ca. einer Stunde vor ihm. Er ist erschöpft und müde, „aber ich freue mich auf die Schule“, sagt er uns. Würde Juan vormittags in die Schule gehen, dann wäre er noch frisch und konzentrierter, und das Lernen würde ihm manchmal vielleicht nicht so schwerfallen. Mit dem Schulzentrum von CEIPA hätte er in Zukunft auch die Möglichkeit dazu.
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Der Autor

Portraitfoto von Martin Bondzio (Quelle: Ralf Krämer)

Martin Bondzio

Stellvertretender Pressesprecher

0203 7789 242

martin.bondzio@kindernothilfe.de

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