Ein Schutzhaus für die Flüchtlingskinder auf Lesbos
Text: Annika Fischer und Hubert Wolf, Fotos: Knur Bry, Kindernothilfe
Zuflucht und Obdach: Ein Schutzhaus vor allem für Frauen und Kinder zu bauen, steht im Mittelpunkt unserer Spendenaktion. Wie Sie helfen können.
400, 500 Flüchtlingskinder leben auf Lesbos noch immer im Lager. Ohne Kontakte zu Einheimischen, ohne Schule, ohne Betreuung. Es gibt sonst kaum einen Platz für sie auf der griechischen Insel. Aber die Helfer von „Lesbos Solidarity (Lesol)“ und der Kindernothilfe aus Deutschland bauen ihnen einen: Schon im kommenden Jahr sollen die ersten einziehen können. „Themidos“ heißt das Hausprojekt, an dem die WAZ-Leser mitbauen können.
Der Name ist Zufall, die Straße heißt so, an der das alte Gebäude steht, das einst der Kirche gehörte. Aber eigentlich kann das kein Zufall sein: „Themis“ gehört zu den Titanen – die Göttin der Gerechtigkeit. Gerade wird das Haus renoviert, 300 im Moment noch ziemlich marode Quadratmeter mit einem Garten. 35 Personen sollen hier wohnen können. Alleinstehende Frauen vor allem mit ihren Kindern, damit sie endlich rauskommen aus dem Lager Kara Tepe, wo die Zukunft so aussieht: Der Plan steht, ein neues Lager zu bauen, noch weiter weg von der Stadt Mytilini, mit noch höheren Mauern und Zäunen.
Es wird ein Haus für die Kinder. Unter dem Orangenbaum sollen sie spielen, Gemüse essen aus dem Garten, von hier aus die Schule besuchen können und das Therapiezentrum des Psychologen Grigoris Kavernos, der sagt: Themidos sei eine „historische Chance“, um mit den Verletzlichsten unter den Flüchtlingen therapeutisch arbeiten zu können: „Endlich eine Perspektive, um auch den Kindern Stabilität anbieten zu können.“ Ein gutes, stabiles und freundliches Ambiente sei dabei eine Riesenunterstützung. Mit am Wichtigsten, so Kavarnos: Außerhalb des Lagers mit seiner Atmosphäre der Gewalt hätten die Menschen hier „die Sicherheit, dass es jeden Tag genug zu essen gibt - auch für die Kinder“. Bis die Menschen selbst Geld verdienen, bekommen sie hier für den Übergang auch Lebensmittel.
Es wird ein Haus für die Flüchtlinge, die um Perspektiven ringen. Die Auszubildenden und Mitarbeiter von Mekdi zum Beispiel. Der 32-jährige Architektur-Student geriet im Iran in Konflikt mit dem Regime, seine Therapie auf Lesbos hieß Kochen. Er erinnerte sich an die Rezepte seiner Mutter, half erst in der Küche, gründete später in Mytilini das Restaurant „Nan“. Inzwischen bildet er hier andere Geflüchtete aus – wie Amena, ebenfalls eine Iranerin, die eigentlich Pharmazeutin ist und zwei Kinder (4 und 9) hat. Insgesamt hat Mekdi schon 25 Flüchtlingen das Kochen beigebracht, die meisten haben inzwischen eine Anstellung gefunden. Sein Laden ist beliebt in der Stadt.
„In unserer Arbeit mit Geflüchteten begegnet uns schiere Verzweiflung“
Es wird ein Haus für jene, die leiden: unter der Ausweglosigkeit, unter der Ablehnung Griechenlands. Denn in den Jahren seit der Ankunft der ersten Bootsflüchtlinge ist die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung teilweise offener Feindschaft gewichen. „Griechen“, steht in der Inselhauptstadt an eine Hauswand geschmiert, „lieben Flüchtlinge – wenn sie zahlen.“ Auch Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Lesvos Solidarity“ erzählen davon, wie vergiftet das Klima auf der Insel sei. Das Asylsystem, sagt etwa Nicolién Kegels, sei so konstruiert, dass der Staat den Menschen alle Hoffnungen nehme. „In unserer täglichen Arbeit mit Geflüchteten begegnet uns unablässig schiere Verzweiflung.“ Man gebe ihnen das Gefühl, nicht hierher zu gehören.
Es wird ein Haus mitten im Leben: Seit das Lager Moria abgebrannt ist und das Lager Pikpa geräumt, wohnt die Mehrheit der Flüchtlinge im neuen Lager Kara Tepe, außerhalb der Stadt direkt am Meer – das Wasser, über das die Menschen gekommen sind. Nur für eine Arbeit dürfen sie die Zeltstadt verlassen, am Wochenende gar nicht, die Kinder können nicht in die Schule, Christen nicht in die Kirche. Von Themidos aus sind es nur ein paar Minuten hinüber in die Zentren von Lesol; wer hier aus der Tür tritt, ist in der Stadt und unter Griechen.
Vom Traum, eines Tages in ein freies Afghanistan zurückkehren zu können
Es wird ein Haus für die Frauen: „Shelter“ nennen die Helfer die oft geheimen Wohnungen, in die sie besonders verletzliche Frauen bringen mit ihren Kindern. Das ist Englisch für „Schutz“, kann aber auch „Zuflucht“ heißen oder einfach: „Obdach“. Hier kommen die hin, die erst aus ihrem Land und dann vor der Gewalt der Männer geflohen sind, nicht nur den eigenen. Wir haben erzählt von Maryam aus Afghanistan und ihrem Sohn Abdulah, von Naomi aus Nigeria mit dem kleinen „Lord“, von Nargis mit ihren beiden Mädchen. Wie sie ihre Traumata verarbeiten, in dem sie Taschen schneidern aus den Resten von Schwimmwesten und Gummibooten, für die es ganze „Friedhöfe“ gibt auf Lesbos.
Hilfe bekommen sie dabei von einem Ehepaar aus Eritrea, er ist Zuschneider, seine Frau Designerin. Und von Arozo. Die 30-Jährige ist schon seit drei Jahren auf der Insel, ihr Asylantrag ist anerkannt, aber das heißt nur: Sie musste raus aus dem Lager und selbst zusehen, wie sie zurechtkommt. Keine Hilfen mehr. Arozo arbeitet als Schneiderin im Kunsthandwerksprogramm von Lesol, sie bringt anderen Frauen das Nähen bei. Die Mutter eines Sohnes nennt die Welt „grausam“, in der sie lebt. Aber sie träumt davon, eines Tages in ein freies Afghanistan zurückzukehren.
Und Arozo: Das heißt Hoffnung.
Für die diesjährige Weihnachtsspendenaktion von WAZ und Kindernothilfe haben Sie, liebe Leser, schon mehr als 188.000 Euro gespendet! Eine überwältigende Summe, herzlichen Dank dafür!
Die Kindernothilfe arbeitet vor Ort mit der Hilfsorganisation Lesvos Solidarity, kurz Lesol, zusammen. Lesol kümmert sich um die besonders Schutzbedürftigen unter den Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos: junge Mütter, Kranke, unbegleitete Kinder, Opfer von Misshandlungen, Schiffbrüchige, die Angehörige verloren haben. Sie werden betreut und möglichst in eigene Unterkünfte außerhalb der Lager vermittelt.