Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Sri Lanka: Freundschaften zwischen Religionen verhindern Vorurteile

Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch

In Sri Lanka sind vier Weltreligionen vertreten. Die Vorurteile zwischen ihren Angehörigen sitzen oft tief und es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Um die Kluft zu überwinden, hilft der Kindernothilfepartner Sri Lanka Unites, Freundschaften zu stiften.

„Zieh die Schuhe aus“, ruft Alisha ihrer Freundin zu als, sie gemeinsam den Hindutempel von Norwood besuchen. Aber es wäre gar nicht nötig, das zu sagen. Die 14-Jährige Joyal kennt die Regeln genau – auch wenn sie als Christin die Schuhe anlassen darf, wenn sie eine Kirche betritt. Alisha nimmt Joyal an die Hand, läutet die Glocke, damit die Göttin Devi weiß, dass Besuch kommt, und zeigt ihrer Freundin den Schrein.

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Zwei Mädchen stehen sich in einem Tempel gegenüber - eine macht der anderen einen roten Punkt auf die Stirn (Quelle: Christian Nusch)
Die Freundinnen drücken sich gegenseitig das hinduistische Tilaka als Symbol des Segens auf die Stirn (Quelle: Christian Nusch)
Zwei Mädchen stehen sich in einem Tempel gegenüber - eine macht der anderen einen roten Punkt auf die Stirn (Quelle: Christian Nusch)
Die Freundinnen drücken sich gegenseitig das hinduistische Tilaka als Symbol des Segens auf die Stirn (Quelle: Christian Nusch)
Ein solches Miteinander über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg ist in Sri Lanka nicht selbstverständlich. In dem kleinen Land, das gerade einmal so groß ist wie Bayern, sind vier große Weltreligionen vertreten: Buddhisten, Hindus, Moslems und Christen. Die rund 23 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner der Insel sprechen außerdem zwei völlig unterschiedliche Sprachen: Die buddhistische Mehrheit Singalesisch, die übrigen zumeist Tamil.
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Bleiben Angehörige der Religionen unter sich, schürt das Vorurteile

Obwohl sie oft in unmittelbarer Nachbarschaft leben, haben die Angehörigen der verschiedenen Gruppen meist kaum Kontakt miteinander. Ihre Kinder gehen nicht einmal in dieselben Schulen. „Die Menschen leben nach Religionen getrennt“, meint Vishni Vincent. „Das befeuert Vorurteile, und es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.“ Die Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners Sri Lanka Unites (SLU) erinnert nicht nur an den Bürgerkrieg, sondern auch an die Osteranschläge von 2019 auf Kirchen in Colombo und 2018 die Unruhen in Kandy, als Moscheen, Musliminnen und Muslime angegriffen wurden.
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Vishni Vincent, Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners SLU (Quelle: Christian Nusch)
Vishni Vincent ist Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners Sri Lanka Unites (Quelle: Christian Nusch)
Vishni Vincent, Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners SLU (Quelle: Christian Nusch)
Vishni Vincent ist Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners Sri Lanka Unites (Quelle: Christian Nusch)
„So etwas kann nur passieren, weil sich die verschiedenen Gruppen untereinander nicht kennen. Deshalb ist es unser Ziel, dass jeder Einwohner, jede Einwohnerin Sri Lankas mindestens einen Angehörigen einer anderen Religion als Freund oder Freundin bezeichnen kann.“ Um das zu erreichen, hat SLU über das ganze Land verteilt acht Zentren gegründet, in denen Kinder aus allen Kulturen zusammenkommen.
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Im Nuwara Eliya Reconciliation Center von Norwood hat gerade wieder eine Gruppe von Kindern ihren Kurs abgeschlossen. In einer feierlichen Zeremonie erhalten 70 Mädchen und Jungen ihre Zertifikate und Auszeichnungen für ihr Leistungen in Englisch und Computerkenntnissen. Englisch und Computer? War nicht gerade noch von interreligiösem Austausch die Rede? Shanmugaraja Kanishiya, Lehrerin in diesem Zentrum, lacht. „Der kostenlose zusätzliche Unterricht ist nur ein Anreiz, damit die Eltern ihre Kinder herschicken. Aber eigentlich geht es uns darum, dass sich hier Kinder unterschiedlicher Religionen begegnen, voneinander lernen und Freundschaften schließen.“
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"Für ein friedliches Zusammenleben müssen wir mehr übereinander wissen“

Zweimal pro Wochen treffen sich die Kinder zu gemeinsamen Bastelprojekten und Wettbewerben, üben Straßentheaterstücke ein, machen Ausflüge zu Tempeln, Kirchen und Moscheen und ja, auch die Schulungen, für die ihre Eltern sie angemeldet haben und deren Abschluss heute gefeiert wird. Eine der stolzen Absolventinnen ist Nila. „Wenn wir alle friedlich gemeinsam in einem Land leben wollen, müssen wir mehr übereinander wissen. Deswegen habe ich auch einen tamilischen Tanz auf der Feier vorgeführt.“ Für viele im Publikum war das etwas ganz Neues. So wie für Nila die Traditionen im Islam und Christentum. „Was mich besonders überrascht hat, ist, dass Musliminnen und Muslime während des Ramadans nicht fernsehen“, meint die Zwölfjährige. „Und ich liebe die Atmosphäre in der Kirche, da ist es so schön ruhig.“
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Was so einfach klingt, ist für Shanmugaraja Kanishiya und ihr Team harte Arbeit, die viel Einfühlungsvermögen und Geduld erfordert, denn die Vorurteile und Ängste sitzen tief. Viele hinduistische Kinder wollen beispielsweise keine muslimischen Familien besuchen, weil sie befürchten, dort heimlich Kuhfleisch zu essen zu bekommen. „Ich sage ihnen dann: ‚Redet darüber!‘ Das haben die Kinder gemacht und waren überrascht. Denn die muslimischen Schülerinnen und Schüler hatten ihrerseits Angst, man würde ihnen Schweinefleisch geben. Jetzt, wo alle die Gebräuche der anderen kennen und sie respektieren, gibt es diese Hürde nicht mehr.“
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Lehrerin Shanmugaraja Kanishiya mit Mitarbeiter Ulaganathan Shanmuga Priyan (Quelle: Christian Nusch)
Lehrerin Shanmugaraja Kanishiya mit Mitarbeiter Ulaganathan Shanmuga Priyan (Quelle: Christian Nusch)
Lehrerin Shanmugaraja Kanishiya mit Mitarbeiter Ulaganathan Shanmuga Priyan (Quelle: Christian Nusch)
Lehrerin Shanmugaraja Kanishiya mit Mitarbeiter Ulaganathan Shanmuga Priyan (Quelle: Christian Nusch)

Verständigung zwischen den Religionen auf Englisch

Die Kinder sollen nicht nur Angehörige anderer Religionen in ihrer Nachbarschaft, sondern in ganz Sri Lanka kennenlernen. Deswegen organisiert SLU für die etwas Älteren jedes Jahr mehrere Workshops, in denen sich Jugendliche aus dem ganzen Land treffen. Jannet hat vor ein paar Wochen in der Hauptstadt Colombo daran teilgenommen. Für die 15-Jährige war es das erste Mal, dass sie die Teeberge verließ, wo die Bevölkerung hauptsächlich tamilisch ist. „Ich war sehr aufgeregt, schon deshalb, weil ich gar nicht wusste, wie ich mich mit den Singhalesinnen und Singhalesen verständigen soll. Sie sprechen ja eine andere Sprache. Aber dann sagte Shanmugaraja Kanishiya, ‚ihr lernt doch alle Englisch in der Schule, das könnt ihr nutzen‘, und sie hatte recht!“

Sprachliche Barrieren waren nicht Jannets einzige Sorge. Die buddhistischen Singhalesinnen und Singhalesen machen nicht nur drei Viertel der Bevölkerung aus, sondern sind auch wirtschaftlich und politisch einflussreicher als das Volk der Tamilen. „Ich dachte, die sind bestimmt sehr arrogant und wollen gar keinen Kontakt mit mir haben“, erinnert sie sich. „Aber das stimmt nicht. Alle waren sehr nett. Wir haben mehr gemeinsam als uns trennt. Wir interessieren uns für dieselben Spiele, haben die dieselben Sorgen vor Prüfungen. Es gibt keine Unterschiede.“ Obwohl der Workshop nur ein Wochenende dauerte, knüpfte Jannet über die kulturellen Grenzen hinweg Kontakte. Jedes Wochenende chattet sie per WhatsApp mit ihren neu gewonnenen Freundinnen und Freunden und hofft, sie bald wiederzusehen.

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Zwei Mädchen stehen Rücken an Rücken (Quelle: Christian Nusch)
Joyal und Jannet  (Quelle: Christian Nusch)
Zwei Mädchen stehen Rücken an Rücken (Quelle: Christian Nusch)
Joyal und Jannet  (Quelle: Christian Nusch)

„Freundschaften zwischen Kulturen machen immun gegen Stimmungsmache“

SLU erreicht mit Unterstützung der Kindernothilfe jedes Jahr etwa 1 200 Kinder und Jugendliche. „Das sind noch viel zu wenige. Aber jeder Kontakt zählt“, mein Co-Landesdirektorin Vishni. Gerade im Moment, wo Sri Lanka in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt und viele Menschen nur noch zwei Mahlzeiten am Tag bekommen, nehmen die Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen spürbar zu. „Denn je mehr die Menschen voneinander getrennt sind, desto leichter ist es, sie zu radikalisieren. Aber Freundschaften über kulturelle Grenzen hinweg machen gegen negative Erzählungen und Stimmungsmache immun.“
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Zwei Mädchen stehen sich lachend gegenüber (Quelle: Christian Nusch)
Joyal hat in Alisha eine Freundin fürs Leben gefunden (Quelle: Christian Nusch) 
Zwei Mädchen stehen sich lachend gegenüber (Quelle: Christian Nusch)
Joyal hat in Alisha eine Freundin fürs Leben gefunden (Quelle: Christian Nusch) 
Alisha und Joyal würden jedenfalls keinem Gerede darüber glauben, dass ihre unterschiedlichen Religionen sie zu Feindinnen machen. „Wir kennen und respektieren einander“, meint Alisha. Joyal ergänzt: „Und wenn wir mal etwas in der Religion der anderen nicht verstehen, dann sprechen wir einfach darüber.“
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Die Autorin

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Katharina Nickoleit

Freie Journalistin, die seit vielen Jahren mit ihrem Mann unsere Projektländer bereist und Reportagen mitbringt.

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