Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Sri Lanka: Mütter haben eine Schlüsselrolle für eine friedlicheZukunft

Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch

15 Jahre nach dem Bürgerkrieg sind die Kämpfe im Norden Sri Lankas zwar vorbei, doch unter der Oberfläche schwelt es weiter. Damit die kommenden Generationen dauerhaft in Frieden leben können, lernen Frauen in Selbsthilfegruppen, Konflikte zu lösen und knüpfen Kontakte über aufgerissene Gräben.

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Das Knäul von Frauen erinnert an einen gordischen Knoten. An den Händen gehalten und ineinander verschlungen erscheint es unmöglich, ihn ohne Gewalt zu entwirren. Aber genau das ist die Aufgabe: Aus dem Knäule wieder einen Kreis zu bilden, ohne einander loszulassen. Nur möglich, wenn die Frauen gemeinsam eine Lösung finden, wer jetzt mit welchem Arm unter welchem Bein hindurchtauchen muss. Unter lautem Gelächter beratschlagen sich die Frauen miteinander und sind am Ende stolz darauf, es geschafft zu haben. Dieser Knoten könnte ein Spiel sein, und irgendwie ist er das auch. Aber er ist viel mehr als das. Er ist eine Übung in Konfliktlösung, durchgeführt bei einem interkulturellen Friedenstraining im Norden Sri Lankas.
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Die Kinder tragen den Groll in die nächste Generation

Dieser Teil der kleinen südasiatischen Insel war über 26 Jahre Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges. Seit 2009 ist der vorbei. „Aber die Abwesenheit von Krieg bedeutet noch lange keinen Frieden“, meint Raga Alphonsus, Leiter des Kindernothilfepartners Organisation of People for Engagement and Enterprise, kurz OPEnE. „Fast jeder, der hier in der Region lebt, wurde während des Bürgerkriegs wenigstens einmal vertrieben. Jetzt sind zwar alle zurück, aber die Konflikte wurden nicht gelöst.“ Moslems, bekannt als gute Händler, fanden nach ihrer Rückkehr ihre Läden von Hindus geführt vor. Die Christen wollen in dem einzigen Distrikt, in dem sie die Mehrheit stellen, die Macht nicht teilen. Die Hindus haben intern mit dem Kastenwesen zu kämpfen. Frauen werden über alle Religionsgrenzen hinweg unterdrückt, und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich mit jeder Überweisung von Angehörigen, die während des Krieges ins Ausland flohen, weiter.
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Raga Alphonsus - ein Mann steht vor einem Zaun und einem Wegweiser (Quelle: Christian Nusch)
Raga Alphonsus, Leiter des Kindernothilfepartners Organisation of People for Engagement and Enterprise (OPEnE) (Quelle: Christian Nusch)
Raga Alphonsus - ein Mann steht vor einem Zaun und einem Wegweiser (Quelle: Christian Nusch)
Raga Alphonsus, Leiter des Kindernothilfepartners Organisation of People for Engagement and Enterprise (OPEnE) (Quelle: Christian Nusch)
"Es gibt viele tiefe Wunden, die jedoch nirgends thematisiert werden, sondern als unterschwelliger Groll schwelen. Die Kinder wachsen in Bitternis auf und tragen den Konflikt in die nächste Generation." Weil die Angehörigen der verschiedenen Religionen nicht mehr wie früher gemeinsam in den Dörfern leben, sondern in unterschiedlichen Gemeinden angesiedelt wurden, gibt es kaum Austausch zwischen ihnen. Selbst die Schulen sind getrennt. "Wenn wir diese Trennung nicht auflösen, wird es früher oder später wieder zu Gewalt kommen", ist Raga Alphonsus überzeugt.
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Fünf Frauen blicken lachend in die Kamera, eine hält ein Plakat mit einer gezeichneten Frau hoch (Quelle: Christian Nusch)
Die Frauen hatten bei ihrem Konfliktlösungsworkshop viel Spaß (Quelle: Christian Nusch)
Fünf Frauen blicken lachend in die Kamera, eine hält ein Plakat mit einer gezeichneten Frau hoch (Quelle: Christian Nusch)
Die Frauen hatten bei ihrem Konfliktlösungsworkshop viel Spaß (Quelle: Christian Nusch)

Selbsthilfegruppen als Instrument, die Region dauerhaft zu befrieden

Am Tag nach dem Konflikttraining bei der Frauenselbsthilfegruppe von Vellankulam: "Das hat so viel Spaß gemacht", meint Sumitra, noch ganz erfüllt von dem gestrigen Zusammentreffen. "Und es war toll, mal aus dem Dorf herauszukommen und andere Leute kennenzulernen und sich auszutauschen. Wir haben ja sonst keinen Kontakt zu Moslems oder Christen." Dann erzählen die Frauen von ihrer Gruppe. Wie sie gemeinsam Geld ansparen, um sich gegenseitig Kredite für das Anlegen eines Küchengartens, den Kauf von Hühnern oder die Einrichtung eines kleinen Ladens geben. All das hat ihr Einkommen und damit das Leben der Familien verbessert und erlaubt es ihnen nun, gemeinsam zusätzlichen Unterricht für ihre Kinder zu organisieren und Ausgaben für deren Gesundheit zu stemmen. Gemeinsam setzten sie durch, dass der Staat seiner Verpflichtung nachkommt und einen Schulbus stellt.
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Eine Frau sitzt auf dem Rand eines Brunnens (Quelle: Christian Nusch)
Sumitra hat der Konfliktworkshop, das Zusammentreffen mit den anderen Frauen, gut gefallen (Quelle: Christian Nusch)
Eine Frau sitzt auf dem Rand eines Brunnens (Quelle: Christian Nusch)
Sumitra hat der Konfliktworkshop, das Zusammentreffen mit den anderen Frauen, gut gefallen (Quelle: Christian Nusch)
Mit diesen Erfolgen steht die Selbsthilfegruppe in einer Reihe mit vielen anderen, von der Kindernothilfe unterstützten Projekten in Südasien. Aber OPEnE will mit dem Instrument "Frauenselbsthilfegruppe" noch weitaus mehr erreichen, als die Verbesserung der Lebensumstände. "Wenn diese Gruppen lernen, Konflikte friedlich zu lösen und sich miteinander vernetzen, dann könnte das der Schlüssel sein, um die Region dauerhaft zu befrieden", meint Raga Alphonsus.
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Zuhören, sich austauschen, gemeinsam eine Lösung finden

Für dieses große Vorhaben hat sich OPEnE Unterstützung von einem anderen Partner der Kindernothilfe geholt. Die Organisation Search for Common Ground (SFCG) sucht international nach Wegen, um Konflikte zu lösen, und ist seit kurz nach der Beendigung des Bürgerkrieges auch in Sri Lanka aktiv. Für Thilini Upananda haben die Mütter bei der Konfliktlösung eine Schlüsselrolle. "Sie kümmern sich um die Kinder. Nur wenn sie friedliche Werte und Methoden der Konfliktlösung an sie weitergeben, kann es für alle eine bessere Zukunft geben."
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Thilini Upananda, die stellvertretende Projektmanagerin der Organisation SFCG (Quelle: Christian Nusch)
Thilini Upananda, stellvertretende Projektmanagerin der Organisation Search for Common Ground (SFCG) (Quelle: Christian Nusch)
Thilini Upananda, die stellvertretende Projektmanagerin der Organisation SFCG (Quelle: Christian Nusch)
Thilini Upananda, stellvertretende Projektmanagerin der Organisation Search for Common Ground (SFCG) (Quelle: Christian Nusch)
Die Methoden der Konfliktlösung seien immer die gleichen, egal, ob es um Auseinandersetzungen innerhalb einer Familie, eines Dorfes oder zwischen Angehörigen verschiedener Religionen oder Nationen geht, meint Thilini Upananda. "Die Menschen müssen einander zuhören, sich über die Probleme austauschen und sie analysieren, um zu einer gemeinsamen Lösung finden zu können. Wenn man das im kleinen Rahmen gelernt hat, schafft man es auch auf anderer Ebene." SFCG hat die Mitarbeiter von OPEnE, die die Frauengruppen betreuen, geschult und mit Materialien ausgestattet, sodass sie die Grundzüge der Konfliktlösung vermitteln konnten. Bei dem interkulturellen Training treffen nun die verschiedenen Frauengruppen zum ersten Mal zusammen.
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Fasnah und Kalivani: zwei Frauen im Interview (Quelle: Christian Nusch)
Fasnah ist Muslima, Kalivani ist Hindu – beide hatten bisher keinen Kontakt zu Angehörigen der anderen Religion (Quelle: Christian Nusch)
Fasnah und Kalivani: zwei Frauen im Interview (Quelle: Christian Nusch)
Fasnah ist Muslima, Kalivani ist Hindu – beide hatten bisher keinen Kontakt zu Angehörigen der anderen Religion (Quelle: Christian Nusch)

Alle Frauen haben ähnliche Probleme

Zu Beginn sitzen alle Teilnehmerinnen mit den Frauen aus ihrem Dorf zusammen. Thilini lässt als erstes diese Trennung auflösen und die Frauen 1-2-3-4 abzählen, sodass sich vier neue, gemischte Gruppen bilden. Ihre erste Aufgabe: Das daheim Gelernte zu wiederholen und dabei herauszuarbeiten, welche Probleme alle gemeinsam haben. "Wir haben bei uns in der Selbsthilfegruppe immer mehrere Mitglieder, die dringend Geld aus der gemeinsamen Rücklage leihen wollen. Dafür reicht die aber nicht", meint Kalivani. "Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie man gemeinsam entscheiden kann, wer das Darlehen zuerst bekommt, ohne dass sich die andere zurückgesetzt fühlt."

Fasnah nickt, bei ihr im Dorf ist es genau das Gleiche. "Diese Konfliktlösung ist auch in der Familie wichtig, denn wenn es ständig Streit und Spannungen gibt, dann beeinträchtigt das einfach alles. Das war mir gar nicht richtig klar, bevor ich es in der Gruppe gehört habe." Kalivani ist Hindu, Fasnah Muslima. Seit sie aus dem Exil in den Norden Sri Lankas zurückgekehrt sind, haben sie nur noch mit Menschen aus dem eignen Dorf zu tun. "Ich habe selbst keinen Konflikt mit Moslems, ich kenne ja gar keine. Und das ist schade", meint Kalivani. Fasnah berichtet von Gerüchten. "Manchmal verbreiten Menschen schlechte Dinge über die Hindus oder Christen. Dann frage ich mich, warum sagen die Leute so etwas?"

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Mutter und Tochter stehen nebeneinander in einer Fensteröffnung (Quelle: Christian Nusch)
Sumitra hat jetzt viel mehr Verständnis für ihre Tochter (Quelle: Christian Nusch)
Mutter und Tochter stehen nebeneinander in einer Fensteröffnung (Quelle: Christian Nusch)
Sumitra hat jetzt viel mehr Verständnis für ihre Tochter (Quelle: Christian Nusch)

"Die Beziehung zu meiner Tochter hat sich sehr verbessert"

Eine andere Frage, die alle vereint, ist die nach der Erziehung ihrer Kinder. "Wir sprechen in der Gruppe viel darüber, wie wir unseren Kindern besser zuhören und mit ihnen kommunizieren können", erzählt Fasnah, und Kalivani ergänzt, wie spannend sie es findet, davon zu hören, dass Kinder verbriefte Rechte haben.

Genau ähnliche Gedanken beschäftigt auch Sumitra in dem hinduistischen Dorf Vellankulam. "Seitdem wir in der Gruppe gelernt haben, die Bedürfnisse unserer Kinder ernst zu nehmen, hat sich meine Beziehung zu meiner Tochter sehr verbessert. Wir führen unsere Gespräche jetzt auf Augenhöhe und gehen viel freundlicher miteinander um." Sanuthi ist froh, dass ihre Mutter Mitglied der Frauenselbsthilfegruppe ist. "Sie hat jetzt viel mehr Geduld mit mir und versucht zu verstehen, was mir wichtig ist", meint die 16-Jährige und hat gleich ein Beispiel parat: "Ich wollte an einem Englischwettbewerb teilnehmen, aber meine Mutter hat das immer verboten. Aber jetzt erlaubt sie es und ich darf hingehen!" Sumitra lächelt. "Mir war vorher einfach nicht klar, wie wichtig Sanuthi der Wettbewerb ist, weil ich mir gar nicht die Zeit genommen habe, richtig mit ihr darüber zu sprechen. Außerdem hätte ich auch gar nicht das Geld gehabt, um den Transport und die Unterkunft zu bezahlen. Aber jetzt, mithilfe meines Küchengartens und dem Verkauf der Eier, geht es."


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Eine Frauengruppe hält sich an den Händen (Quelle: Christian Nusch)
Die Frauen wollen gemeinsam weitermachen – für eine bessere Zukunft ihrer Kinder (Quelle: Christian Nusch)
Eine Frauengruppe hält sich an den Händen (Quelle: Christian Nusch)
Die Frauen wollen gemeinsam weitermachen – für eine bessere Zukunft ihrer Kinder (Quelle: Christian Nusch)

Der erste Schritt ist gemacht

Wer gelernt hat, sich in die Position seines Kindes oder Ehemannes zu versetzen und Kompromisse zu schließen, der kann das auch bei den Frauen aus anderen Dörfern schaffen. Bislang sind die Treffen der verschiedenen Gruppen ein Kennenlernen, eine Annährung. Bis über die vielen Konflikte in der Region offen gesprochen werden kann, wird es noch dauern. Aber der erste Schritt ist gemacht. "Wir haben bei dem Treffen ein Gefühl davon bekommen, wie die Welt sein könnte", meint Sumitra. "Wir haben uns an den Händen gehalten, miteinander gesprochen und gespürt, dass wir alle das Gleiche wollen: Eine bessere Zukunft für unsere Kinder."
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