In diesem Jahr wollen WAZ und Kindernothilfe den Kriegskindern aus der Ukraine helfen. Den Bomben sind viele entflohen, Angst und Heimweh nicht.
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Die Tränen der ukrainischen Kinder, die ihren Papa vermissen
Text: Annika Fischer, Fotos: Ralf Rottmann/Funke Foto Services
Edineț. Sie vermissen ihren Papa, die Großeltern und die Katzen: Im Norden Moldaus müssen die Helfer bei den ukrainischen Kindern viele Tränen trocknen.
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Neulich haben sie in Edineț die ukrainischen Kinder befragt, sie tarnten es als Spiel: Was sie zuerst machen, wenn sie wieder zu Hause sind? Das wollten sie wissen. „Dann suche ich meine Katze“, sagten die Kinder. „Ich umarme Oma.“ Die meisten aber würden in Charkiw, Cherson, Odessa dasselbe tun wie im Norden Moldaus, wohin sie geflüchtet sind vor dem Krieg: „Ich warte, dass Papa zurückkommt.“
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Papa. Papa ist nicht mitgekommen über die Grenze, es sind die Frauen, die ihre Kinder in Sicherheit bringen: Männer müssen im Land bleiben und kämpfen, so hat die Ukraine es verfügt. Die kleine Alina, die große Daria, Dascha, Petro und die anderen im Zentrum der Hilfsorganisation Demos, sie sprechen nicht über ihre Väter, nicht einmal, wenn sie von zu Hause erzählen. Aber manchmal lässt die Psychologin Viorica Orac sie zeichnen, Bilder für die Großeltern oder Postkarten, die sie verschicken, um den Kontakt zu halten. Dann malen die Kinder ein Haus, über dem die Sonne scheint, immer: „Ein Symbol für den Vater“, weiß Viorica, „die Sonne zeigt, wie sehr sie ihn vermissen.“
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Der Krieg hat Alina den Hula-Hoop-Reifen weggenommen
Alina, die Siebenjährige, vermisst außerdem die sieben Katzen, die jetzt ganz allein sind in Charkiw, die schwarz-weiße, den Tiger und die dreifarbige, die vier Junge bekam, „ganz weich war das Fell“! Sie vermisst das Tanzen. Und den Hula-Hoop-Reifen. Der Hula-Hoop-Reifen fehlt, Alina dreht die Hüften über dem adretten Faltenrock, aber da ist kein Reifen, das Fahrrad ist auch nicht mehr da und der Tretroller: „Gestohlen“, sagt Alina, die sehr empört gucken kann für ihre sieben Jahre. Aber es war kein Dieb, es war der Krieg, der ihr alles weggenommen hat, Roller, Rad und Reifen.
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In der dritten Klasse sitzt Alina ganz vorn, sie sind fünf ukrainische Kinder in der Schule von Edineț und drei russische; an der Wand hängt ein Poster mit Kindern in Tracht: „Meine Heimat Moldau“. Für diese acht ist das hier nicht Heimat, aber das Lyzeum bemüht sich. Man kann hier Ukrainisch lernen, das Buch auf jedem Platz heißt „Die ukrainische Sprache und Literatur des Lesens“, die Lehrerin spricht gerade Russisch. Und in Mathe helfen Bilder: Zweimal vier Äpfel sind überall auf der Welt acht Äpfel und sechs minus zwei Birnen vier.
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Aus dem Keller rufen die Enkel an: Die Oma hört die Sirenen
Das Mittagessen macht hier Raissa, eine 56-jährige Ukrainerin. Heute hat sie Suppe gekocht, dazu gab es Rosinenbrötchen. Nun spült sie die Becher, mit Motiven aus „Mascha und der Bär“ darauf, die russischen Zeichentrickfiguren kennen auch deutsche Kinder. Raissa hat sich für Moldau entschieden, „wo soll man sonst hin, wo man zurechtkommt“? Sie sagt, sie kann keine Sprachen, aber das stimmt nicht: Sie spricht Russisch, Ukrainisch und neuerdings auch etwas Rumänisch, sie ist schon seit Februar da. Mit Sohn und Enkeln kam sie am 24. über die Grenze, abends um 11. Es brannte in ihrer Straße, „da schmeißt du irgendwas zusammen“, beinahe hätte sie ihre Papiere vergessen. Die Kinder blieben bis zum Sommer, zu Beginn des neuen Schuljahres gingen sie zurück in die West-Ukraine. Raissa macht sich Sorgen: Neulich rief die Enkelin aus dem Keller an, „Oma, Oma!“, rief sie, und die hörte die Sirenen.
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Psychologin: Kinder wollen nach Hause
Die sind es auch, und das Krachen der Bomben, was die Kinder mitgenommen haben nach Moldau: Viorica Orac erzählt, wie sie aufschrecken von den Geräuschen des Staubsaugers oder einer Bohrmaschine. Sie weiß von ihrer Angst im Dunkeln, von ihren Schreien in der Nacht. Sie hat den Vierjährigen getröstet, der die Bombe vor dem Kindergarten nicht vergessen kann, und den Jungen aus Baschtanka, der seiner Mutter nicht von der Seite weichen will. Die Kleinen, sagt die Psychologin, kennen schon den Krieg, wissen aber noch nicht um seine Gefahren. „Sie wollen trotz allem nach Hause.“ Die Älteren wissen: „Man kann nicht zurück.“ Heimweh haben sie alle.
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Mit den Russen-Kindern spielt man nicht
Viele Kinder übernähmen auch die Ängste der Eltern. Nur wenige kämpften tapfer dagegen: „Mama“, sagte kürzlich ein 14-Jähriger, „es reicht mit dem Weinen. Wir müssen daran denken, was in Zukunft passiert, wie wir hier zurechtkommen und wie wir der Ukraine helfen.“ Das aber soll nicht die Aufgabe von Kindern sein, also war Viorica mit ihnen im Park, im Schwimmbad, oft in der Holzwerkstatt hinterm Haus; sie versucht abzulenken. Es kommt vor, dass sie dabei Vorurteile ausräumen muss. Mit der achtjährigen Carinoschka mochte ein moldawisches Mädchen nicht spielen, es dachte, sie sei eine Russin. Und „Russen sind schuld, dass Krieg ist“, so haben sie es von ihren Eltern gehört. Dass so viele Menschen Russisch sprechen in Edineț, ist das Glück der ukrainischen Flüchtlinge und ihr Unglück zugleich.
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Häufig arbeitet die 42-jährige Orac auch in der Nacht. Wiegt Kinder in den Schlaf, trocknet Tränen. Vor ein paar Wochen brachte sie nachts um zwei eine Torte in eins der vollen Zimmer. Ein Mädchen dort wollte seinen elften Geburtstag nicht feiern, nicht ohne den Vater und nicht ohne den großen Bruder, die in der Ukraine zurückbleiben mussten. Vier Tage hatte das Kind durchgeweint. Nach dem Ausblasen der Kerzen, erzählt Viorica, hat es das erste Mal ruhig geschlafen.
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Über die Autorin
Annika Fischer
Annika Fischer ist Reporterin und war mit der Kindernothilfe seit 2008 in Bangladesch, Guatemala, dem Libanon und in Äthiopien.
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