Schule im Krieg: Warum der Bunker Mascha krank gemacht hat
Text: Annika Fischer, Fotos: Jakob Studnar/Kindernothilfe
Edineț/Bukarest In der Ukraine stören Bomben den Unterricht. Weshalb es so wichtig ist, dass Flüchtlingskinder in Rumänien und Moldau zur Schule gehen.
Arina schreibt heute eine Klassenarbeit. Oder auch nicht. Das einzige Laptop der Familie steht aufgeklappt im winzigen Kinderzimmer der Familie in Edineț, Moldau. Aber Arina, 9, spielt mit ihren Geschwistern auf dem Fußboden Memory. Oben auf dem Bildschirm dreht sich der blaue Ladekreis, zum dritten Mal schon heute: Keine Verbindung in die Ukraine, zu Hause in Mykolajiw ist Luftalarm.
„Wir warten, dass wir eingelassen werden“, sagt Arinas Mutter Olga. Und beschreibt damit im Kleinen ein großes Problem. Die ukrainischen Flüchtlingskinder können nun schon bald zwei Jahre nicht mehr daheim in die Schule. Wer Glück hat, hat in den Zufluchtsländern einen Schulplatz bekommen. Aber, sagt Diana Certan vom Kindernothilfe-Partner in Bukarest: „Die Schulen sind nicht vorbereitet auf Kinder, die kein Rumänisch können.“ Auch die moldawischen sind selten russischsprachig – und was ist mit den Schülerinnen und Schülern, die Ukrainisch sprechen, aber nicht die Sprache des Feindes?
Elenas Schule hat keinen Bunker, in dem ihrer Tochter ist kalt
Mascha in Edineț hat Glück im Unglück: Hier, ganz in der Nähe der ukrainischen Grenze, gibt es ein russisches Lyzeum, das auch Ukrainisch lehrt. Die Elfjährige lernt jetzt ihre Mutter- als Fremdsprache. „Es ist schwierig“, sagt ihre Mutter Elena, aber wie gut, dass das Kind die Russisch-Lehrerin mag. In deren Klasse ist Mascha das einzige ukrainische Kind, gerade sagt sie ein Gedicht auf. Es handelt vom russisch-französischen Krieg.
Dass Mutter und Tochter aus dem russisch-ukrainischen Krieg flohen, hat ebenfalls etwas mit der Schule zu tun. Elena ist selbst Lehrerin, an einer Grundschule in der Stadt Winnyzja, knapp drei Autostunden nördlich von Edineț. Aber ihre Schule hatte keinen Bunker. Die von Mascha schon, aber die war zehn Kilometer entfernt. „Die Kinder mussten oft in den Keller, es war kalt dort, meine Tochter ist krank geworden.“ Elena konnte sie nicht beschützen, vor allem das hat sie nicht ertragen.
Die Schule von Zlata (9) und Aleks (13) hat auch einen Bunker, er liegt direkt neben dem immer wieder schwer bombardierten Hafen von Odessa. Aber es durften immer nur so viele Schüler kommen, wie in diesen Bunker passen. Er war jeden Tag voll. Die Schule hat sich verändert, sagt Olga, die Mutter der beiden, im moldawischen Dörfchen Tudora. Die Kinder seien so ernst geworden, viel zu erwachsen. Und die Lehrer, die sonst immer so streng waren, versuchten, sie zum Lachen zu bringen. „Man hat ihnen die Kindheit genommen“, findet Olga.
Viele Schülerinnen und Schüler gehen zwar in neue Schulen, lernen Rumänisch oder Russisch – doch am Nachmittag wählen sie sich ein in den Unterricht von daheim. In Bukarest kommt Flüchtlingsmädchen Kira gut mit, „ich verstehe die rumänischen Lehrer endlich“. Aber einmal im Monat schreibt sie online Tests und Klassenarbeiten an ihrer Schule in Charkiw mit. Es ist anstrengend, aber sie will das „nicht hintenüber fallen lassen“, denn auch das haben die Ukrainer lernen müssen: Nicht nur das Notensystem ist ein anderes, die rumänischen oder moldawischen „Abschlüsse werden zu Hause nicht immer akzeptiert“, auch Diana Certan vom Kindernothilfe-Partner Concordia Rumänien. Zudem gilt es, Lücken zu füllen: Erst war Corona, dann kam der Krieg. Es gibt ukrainische Schüler, die haben eine echte Schule noch nie von innen gesehen.
Alles auf einem Handy: Schulunterricht und Kriegsbilder
Der kleine Rechner steht in einem engen Zimmer der Hilfsorganisation Demos, das sich die 36-Jährige mit Tochter Mascha teilt. Es gibt zwei Betten dort, auf einem sitzen zwei Teddybären, Geschenke von Maschas Mitschülern. Man kann sich gerade umdrehen zwischen Schrank, einer Schale Äpfel, einem Heiligenbildchen und eben diesem Laptop. Der Startbildschirm zeigt die Krim, Elena lacht bitter. Dann zeigt sie Fotos von Mascha: im weißen Kleidchen am Zeugnistag in Winnyzja und einem Schild, „Ich liebe die Schule“. Und mit Mütze, Schal und dicker Jacke. Das ist im Bunker derselben Schule.
Ukrainische Kinder ohne Dokumente dürfen in der Schule nur "frei zuhören"
In Orhei steht das einzige russischsprachige Lyzeum in Moldaus Landesmitte. 25 Kinder aus der Ukraine teilen sie hier auf in zwei Gruppen: die mit Dokumenten kommen und angemeldet werden. Und die, denen die Unterlagen fehlen, die „frei zuhören“. Mittlerweile haben die meisten feste Schulverträge, sagt Schulleiterin Maria Fratescu, und dennoch: Das zu organisieren, sei schwierig, jedes Kind „ein Einzelfall“. Und doch war das Zusammenwachsen in der ersten Klasse einfacher, erinnert sich die Klassenlehrerin Ludmilla Dumbrava: „Am Anfang waren wir sowieso alle neu. Alle gleich. Und alle gleich aufgeregt.“
Ohne Gepäck auf der Flucht - aber jetzt bekommen die Kinder einen Rucksack für die Schule
Und er verschenkt Schulrucksäcke. 125 Kinder in Bukarest haben inzwischen einen bekommen, vollgepackt mit Stiften, Heften, einem Malbuch. Für viele ist es die erste Tasche seit der für die Flucht, und Schulsachen: Die waren selten darin.
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