Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Südafrika
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(Über-)Lebenshilfe für Township-Kinder

Text: Ludwig Grunewald  Bilder: Ludwig Grunewald

Durban an der Ostküste Südafrika gilt trotz ihrer großen touristischen Anziehungskraft als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Am Rand der Stadt aufzuwachsen bedeutet unwillkürlich, mit unvorstellbar viel Kriminalität, Gewalt und (Drogen-)Elend groß zu werden. Und je schwieriger die Startbedingungen, desto unrealistischer wird das Ziel einer auch nur einigermaßen kindgerechten Kindheit, geschweige denn eines erfolgreichen Berufsweges. Davon können zig Tausende Mädchen und Jungen in den Townships der Stadt ein Lied singen: Sie alle drohen in diesen Umständen unterzugehen.

Es ist ein sonniger Freitagmorgen im südafrikanischen Spätsommer. Wir sind in Durban unterwegs, die mit 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern drittgrößte Stadt Südafrikas. Die Hafenmetropole an der Ostküste ist Wirtschaftsmotor und Hochburg der Kriminalität zugleich. Regelmäßig findet man sie wegen ihrer astronomischen Gewalt- und Mordrate in den gängigen Listen der gefährlichsten Städte der Welt.

Die Lage ist zunächst unaufgeregt, aber geschäftig. An der wunderschönen Promenade der Küstenstadt im Schatten des WM-Stadions von 2010 geht alles seinen Gang. Die perspektivlos herumhängenden – meist jungen – Menschen haben sich bei Tagesanbruch zurückgezogen. Die ganze Nacht hatten sie im Licht der Straßenlaternen zugebracht und sich billig berauscht. Zum Großstadt-Dschungel wird Durban in diesem Augenblick eigentlich nur, wenn die freilebenden Affen der Stadt mal wieder die Mülleimer entlang der Straße plündern. 

Dieses friedliche Bild ändert sich aber nach nur wenigen Minuten Autofahrt landeinwärts. Wie überall im Land hat sich die jahrhundertelange Geschichte der Rassentrennung auch hier tief ins Stadtbild eingebrannt. Menschen leben getrennt in schwarz und weiß, arm und reich. Daran ändern auch 30 Jahre der formellen Gleichheit nichts. So verbleibt die weiße Minderheit weiter lieber in den schönen Teilen der Stadt. Ja, mittlerweile gibt es auch eine kleine schwarze Mittel- und Oberschicht, aber das Gros der Nicht-Weißen lebt weiterhin auf der falschen Seite der Armutsgrenze fernab von festungsähnlichen Siedlungen mit privatem Sicherheitsdienst. 

Hoffnung, wo es eigentlich keine gibt

Wir halten vor den Toren der Township Cato Manor. Mit 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern eines der "kleineren" Elendsviertel in der Provinz KwaZulu-Natal, groß genug jedoch, um in Deutschlands Großstadt-Ranking im Mittelfeld mitzumischen. Wir treffen Melissa Leslie, Direktorin unserer Partnerorganisation iThemba Lethu. Das Leben in der Township kennt sie nach fünf Jahren an der Spitze der Organisation sehr gut: "Das Leben in Cato Manor ist sehr, sehr hart. Deswegen arbeiten wir auch dort. Unsere Kinder sind in höchstem Maße gefährdet. Die Kriminalitätsrate ist enorm, an jedem einzelnen Tag werden Schüsse gemeldet, Entführungen und Mord sind an der Tagesordnung, Gewalt gegen Frauen und Mädchen befindet sich auf einem Allzeithoch. Die Infrastruktur ist schlecht: Überall befinden sich Müllhaufen, kaum ein Haus besitzt einen Strom- oder Wasseranschluss. Dies sind wirklich schwierige Umstände, in denen unsere Kinder aufwachsen müssen." 

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Direktorin Melissa Leslie berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Direktorin Melissa Leslie berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Direktorin Melissa Leslie berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Direktorin Melissa Leslie berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Diese Beschreibung ist wirklich niederschmetternd. Und "schwierige Umstände" klingt wie die Untertreibung des Jahrhunderts. Doch die Art und Weise, wie sie all dies aufzählt und dass sie die 2 500 Mädchen und Jungen im Kindernothilfe-geförderten Projekt als "ihre Kinder" beschreibt, zeigt ihre große Hingabe und eine wirklich positive Grundhaltung inmitten dieser Umstände. Und das macht Melissa im Verlaufe des Gesprächs auch deutlich: "Unsere Nachricht ist: Es gibt Hoffnung in dieser Gegend. Und wenn die Kinder glauben, dass es Hoffnung gibt, dann werden sie weiter ihr Bestes geben, um ihre Lebenssituation zu meistern. Sie werden die Gelegenheiten nutzen, die sich ihnen hier bieten. Und wir glauben, dass Gott für jedes Kind einen guten Plan hat." Und für diese Einstellung steht auch der Name der Organisation: In der Zulusprache bedeutet "iThemba Lethu" "unsere Hoffnung".
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Wir machen uns auf den Weg in die Township, und wir bekommen eine Idee davon, worüber Leslie wenige Minuten vorher sprach. Entlang der verzweigten Strecke den Hügel hinauf reihen sich kleine Häuser, Verschläge und Blechhütten aneinander. Wer es sich leisten kann, umgibt sein Häuschen mit der landestypischen Mauer-Stacheldraht-Kombination.  Unmengen Müll liegen oder brennen am Straßenrand. Daneben alte Reifen, Planen, Eimer. Was das Leben hier eben so übrig lässt. (Ab)Wasser-Ströme fließen bergab. Immerhin wuchern Gras, Büsche und Hecken zwischendrin. Das macht das Ganze etwas grüner. Es ist aber unschwer zu glauben, dass sich hier alle Formen der Gewalt Bahn brechen, sobald die Sonne untergeht.
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Mit "Schicksalsprogramm" an der Seite der Kinder

Plötzlich wird es sauber. Wir halten an einem großen, aufgeräumten Schulkomplex. Nicht schön, aber gepflegt. Man sieht Kinder in Schuluniform. In knapp 20 kleinen Gebäuden befinden sich die Klassen der Grund- und weiterführenden Schule der Nachbarschaft. Hier sind die iThemba Lethu-Mitarbeitenden des so genannten Destiny Programs (zu Deutsch: Schicksalsprogramm) aktiv. Und die Aufgaben, die die Projektmitarbeitenden übernehmen, sind tatsächlich wegweisend für viele Mädchen und Jungen. 

Denn nicht selten sind es die ältesten Kinder einer Familie, die ihre Haushalte führen. Die Eltern sind oft nicht greifbar oder ganz verschwunden. "Es gibt niemanden, der nach diesen Kindern schaut", berichtet Melissa. "Niemanden, der ihnen zuhört, der sie wirklich kennt und ihnen Mut gibt. Und das tun wir: Unsere Mitarbeitenden sind wie große Brüder und Schwestern für diese Mädchen und Jungen, wie Mütter und Väter. Sie helfen dabei, die Kinder zu formen." Oder anders ausgedrückt: Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, die den Kindern etwas vorleben, eine Richtschnur geben, Lebenskompetenzen vermitteln – die in diesem Umfeld eher als Überlebenskompetenzen verstanden werden müssen. 
 
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Was das im Einzelnen bedeutet, erzählt uns Kathy in einem Sprechzimmer von iThemba Lethu. Der Raum ist klein, aber man merkt, dass er mit Liebe gestaltet wurde. Es gibt eine gemütliche Couch, Kuscheltiere, und die Wand wird mit verschiedenen Emoticons zur Gefühlsampel. Die aufgeweckte 14-Jährige berichtet zunächst von ihrem Alltag in Cato Manor: "Wenn es um fünf Uhr dunkel wird, darfst du als Mädchen nicht mehr alleine auf die Straße gehen. Es ist einfach zu gefährlich." Ruhig und routiniert berichtet sie weiter, dass es später noch schlimmer wird: "Wir wissen, dass um acht Uhr draußen die Kugeln umherfliegen und die Leute aufeinander schießen. Dann schließen wir die Fenster, sodass wir uns sicher fühlen." 
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In diesem Alter eine solche Normalität zu erleben, härtet ab. Aber auf weitere Nachfrage kommt das Kind in ihr wieder durch. Natürlich habe sie Angst, sagt sie. Denn auch tagsüber bleibe es gefährlich. Männer über 30 stellen den Kindern nach, verfolgen sie auf dem Schulweg, stalken junge Mädchen. Deswegen seien sie immer in Gruppen unterwegs: Doch als sie erzählt, wie sie Männern begegnen, die sie "zu sich nach Hause einladen wollen", wirkt sie wieder energiegeladen, stark und mutig: "Wir beschimpfen sie. Wir schreien und sagen ihnen laut und deutlich. ‚Du bist alt! Du bist alt genug, unser Onkel zu sein!' Wenn der Mann weitermacht, nehmen wir den erstbesten Gegenstand vom Boden und bewerfen ihn damit. Das schreckt sie normalerweise ab, und sie wissen, dass sie uns in Ruhe lassen sollen." 
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Kindsein im Chaos

Dass die Kinder und Jugendlichen auf solche Situationen vorbereitet sind, haben sie den Projektmitarbeitenden zu verdanken. "Wir wollen, dass die Kinder verstehen, was richtig und was falsch ist", sagt Projektmitarbeiter Thomas. "Wir erklären ihnen, dass es falsch ist, mit älteren Männern zu sprechen, sich mit ihnen abzugeben. Wir sagen: ‚Wenn ihr von der Schule nach Hause geht, geht in der Gruppe. Bleibt nicht stehen, bis ihr zu Hause seid'." Elementare Dinge, elementar wichtige Dinge.
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Kathy berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Kathy berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Kathy berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)
Kathy berichtet vom Leben in Cato Manor (Quelle: Ludwig Grunewald)

In diesem ganzen Gewirr sind es immer noch Kinder und Jugendliche, von denen wir sprechen. Junge Menschen mit Fragen, Sorgen, Kummer und Ängsten. Dinge, für die aber oft niemand da ist. "Diese Lücke wollen wir schließen", sagt Melissa. Kathy nimmt dieses Angebot mittlerweile gerne an. Obwohl sie selbst nicht elternlos ist, scheint sie manche Themen lieber mit den Projektmitarbeiterinnen besprechen zu wollen. Am Anfang habe es sich "komisch angefühlt", über Persönliches zu sprechen, über Teenager-Dinge. Aber mittlerweile habe sie Vertrauen gefunden und weiß, dass ihre Gefühle nicht in der Schule die Runde machen, wenn sie darüber spricht. Neben den grundlegenden Dingen wie dem richtigen Verhalten in der Township, sind diese Themen immens wichtig. Denn auch auf der Gefühlsebene müssen die Mädchen und Jungen an die Hand genommen werden, um im Leben klar zu kommen. 

Am Ende des Gespräches kommen wir auf ihre Zukunft zu sprechen. Oft äußern Kinder, wenn man sie fragt, gut gemeinte, aber doch etwas überzogene Wünsche, wie zum Beispiel "Ich möchte Präsidentin werden" oder "Ich möchte Wissenschaftler werden, um die Menschen von Krankheit xy zu heilen". Kathy möchte Unternehmerin werden. Kein unrealistischer oder übertriebener Traum, denn man kann ihn klein und groß denken. Sie wird ihn erreichen, denn sie ist fit, schlau und nicht auf den Mund gefallen. Und bis sie alt genug ist, um komplett auf eigenen Beinen zu stehen, ist sie in guten Händen in einer Stadt, in der Kindsein eine Mammutaufgabe ist. 

 
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Über iThemba Lethu

Innenhof des Geländes der Kindernothilfe-Partnerorganisation iThemba Lethu (Quelle: Ludwig Grunewald)
Eine Oase für Mütter und Kinder vor den Toren der Township: das Grundstück des Kindernothilfepartners iThemba Lethu (Quelle: Ludwig Grunewald)
Innenhof des Geländes der Kindernothilfe-Partnerorganisation iThemba Lethu (Quelle: Ludwig Grunewald)
Eine Oase für Mütter und Kinder vor den Toren der Township: das Grundstück des Kindernothilfepartners iThemba Lethu (Quelle: Ludwig Grunewald)
Neben der Arbeit direkt in der Township bietet iThemba Lethu auf seinem Grundstück in der Nähe des Viertels weitere Unterstützung für junge Menschen an. In der liebevoll gestalteten Umgebung können hier junge Mütter nach der Entbindung unterkommen, genauso wie Kinder, die wegen unhaltbarer Zustände aus ihren Familien genommen werden müssen. Zudem betreibt unser Partner hier eine Muttermilch-Bank.
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Die Situation in Südafrika

Neben Nigeria hat Südafrika die stärkste afrikanische Volkswirtschaft. Auch als Mitglied des BRICS-Staatenverbundes zeigt sich das Land auf der internationalen Ebene selbstbewusst. Dennoch leidet die Bevölkerung weiter unter fundamentalen Missständen: So herrscht im Land die weltweit extremste Kluft zwischen Arm und Reich. 0,00006 Prozent der Bevölkerung (3 500 Menschen) besitzen so viel wie die ärmsten 52 Prozent (32 Millionen Menschen). Offiziell sind 32 Prozent der Menschen arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei knapp 60 Prozent. Dazu sind 14 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert. Mehr als 200 000 Fälle von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt werden jährlich gemeldet. Aufgrund von Mangelernährung leiden 25 Prozent der Kinder an Wachstumsstörungen. Südafrika hat 62 Millionen Einwohner, 93 Prozent davon nicht-weiß. 90 Prozent der Menschen sind unter 60 Jahre alt. Es gibt 11 offizielle Sprachen.
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Kinder im Destiny Program des Kindernothilfe-Partners iThemba Lethu (Quelle: tomfoolery / Kindernothilfepartner)

Südafrika: Zukunft für Township-Kinder

Das Leben in Townships ist für Kinder unfassbar gefährlich. Im Elendsviertel Cato Manor in Durban nehmen wir die Kinder an die Hand.

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Über den Autor

Ludwig Grunewald (Jakob Studnar)
Ludwig Grunewald ist Chefredakteur von kindernothilfe.de und des Kindernothilfe-Magazins. 

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