Staatenlos in Thailand: Kindernothilfe ist Hoffnungsschimmer
Text: Angelika Bachmann, Fotos: Ulrich Kastner
Angelika Bachmann, Gründerin und erste Geigerin des Quartetts Salut Salon, ist seit vielen Jahren Botschafterin der Kindernothilfe. Im Januar 2024 besuchte sie vier von der Kindernothilfe unterstützte Projekte in Thailand - eine Reise voll bewegender Begegnungen und nachhallender Eindrücke.
Was für eine Geschichte, und was für eine Frau: Kaw Key Paw unterrichtet Kinder, um ihnen eine Perspektive zu geben - eine Perspektive, die diese aber eigentlich gar nicht haben. Viele der Jungs etwa kommen nur bis sie zwölf oder dreizehn Jahre alt sind in den Unterricht der jungen Frau, weil diese sich dann, im "arbeitsfähigen Alter", als Tagelöhner oder Wanderarbeiter verdingen. Schließlich müssen sie sich irgendwie ernähren, oft sogar gleich die ganze Familie. Sie arbeiten unter Bedingungen, die für uns kaum vorstellbar sind, und den Mädchen ergeht es nicht besser.
Kaw Key erlebt das täglich. Und eine Perspektive, die besitzt auch sie selbst nicht: Sie würde gerne studieren, Lehrerin werden, aber als Staatenlose ist das unmöglich. Kaw Key steht für mich exemplarisch für viele der Menschen, die mir in diesen Tagen begegnet sind: Unglaublich engagiert und voller Tatkraft, um etwas zum Positiven zu bewegen - dabei aber vollkommen von der Willkür Anderer abhängig. Denn: Sie sind de facto rechtlos, und das nur, weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort geboren wurden. Für uns Europäer ist eine solche Situation unvorstellbar. Und für mich persönlich ist allein der Gedanke daran unerträglich.
Kaw Key lebt und arbeitet in einem der vier Projekte im Norden Thailands, in der Nähe von Mae Sot, die ich im Januar 2024 besuchen durfte. Der andauernde Bürgerkrieg im direkt benachbarten Myanmar, der hierzulande in der Öffentlichkeit wenig zur Kenntnis genommen wird, hat sie zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen. Und diese Geschichte erzählen dort, in einem der Camps, eigentlich alle, mit denen ich spreche: Die Menschen, darunter viele auf sich allein gestellte Kinder, kommen illegal über die grüne Grenze. Meist fliehen sie, ohne gültige Papiere dabei zu haben - wie denn auch, viele von ihnen haben schließlich noch nie irgendwelche Papiere besessen. Der Weg zurück in die Heimat ist ihnen durch den Krieg versperrt, in Thailand dagegen sind sie offiziell gar nicht existent - und so landen diese Menschen dann, anfangs noch voller Hoffnung, als rechtlose und damit billige Arbeitskräfte in einem Elend aus Slums und Ausbeutung.
Perspektiven schaffen trotz vermeintlich aussichtsloser Lage
Eigentlich eine völlig aussichtslose Lage, aber die Art und Weise, wie sich die Kindernothilfe in solchen Situationen engagiert, ist ein Hoffnungsschimmer für die betroffenen Menschen, das sehe ich immer wieder. Vor über 20 Jahren fragte mich Jürgen Schübelin, damals Referatsleiter der Kindernothilfe für Lateinamerika, ob ich nicht eine Projektpatenschaft für eine Musikschule in Chile übernehmen wolle. Seitdem habe ich nicht nur in Chile, sondern in vielen Projekten rund um den Erdball erlebt, wie die Kindernothilfe arbeitet; dass es nicht nur um Geld und Steine geht, sondern auch darum, die Menschen, vor allem die Kinder, persönlich zu stärken. Sie zu befähigen, ihre Rechte einzufordern, ihnen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen und so schließlich eben doch Perspektiven zu eröffnen, die auf den ersten Blick unerreichbar erschienen. Genauso war es auch bei meinem Besuch in Thailand: Ich habe mit Frauen in Selbsthilfegruppen gesprochen, die sehr kluge Lösungen entwickeln, um sich gegenseitig solidarisch zu unterstützen und abzusichern; mit Menschen, die Kinder über ihre von den UN verbrieften Kinderrechte unterrichten und dafür sorgen, dass sie länger zur Schule gehen können. Und mit Menschen wie Kaw Key.
Die Musik als Eisbrecher zwischen Kulturen
Als Botschafterin der Kindernothilfe sehe ich mich immer als Kommunikatorin, und zwar in beide Richtungen: Aus unserer so unglaublich privilegierten, für die Menschen in den Projekten völlig unerreichbaren Weltgegend bringe ich die Botschaft mit, dass sie, die Menschen dort in ihrer schwierigen Lage, nicht gänzlich allein sind, dass sie gesehen werden. Und ich verstehe mich als Botschafterin eben dieser Menschen, die ich dort kennenlernen durfte, um auf ihr Leben und ihre Schicksale aufmerksam zu machen, um ihre Geschichten mit nach Hause zu bringen.
Auch die Geschichten der Menschen in Mae Sot habe ich nicht im Flieger gelassen. Sie beschäftigen mich weiter und ich grübele viel, wie ich sie weiter unterstützen könnte. Wie schön wäre es, wenn Kaw Key tatsächlich irgendwann studieren könnte. Ich würde sie gern weiter ermutigen, mindestens das.
Über die Autorin
(Quelle: GABO)